Der SC Bern ist in seinem Selbstverständnis das Bayern München des Eishockeys. Aber seit der letzten Meisterfeier im Frühjahr 2019 sind die Berner vom richtigen Weg abgekommen. Zu viele Irrungen und Wirrungen in der Sportabteilung haben zur tiefsten Krise seit dem Wiederaufstieg von 1986 geführt.
Seit 2019 ist der SCB nicht mehr über die Viertelfinals hinausgekommen, hatte nie mehr Playoff-Heimrecht und einmal sind gar die Playoffs verpasst worden.
Nun rockt der SCB wieder. Marc Lüthi und die sportliche Führung haben zum arroganten Selbstvertrauen zurückgefunden, ohne das in Bern kein Erfolg möglich ist. Obersportchef Martin Plüss ist der erste SCB-Sportchef seit Sven Leuenberger (ab 2017 bei den ZSC Lions), der Marc Lüthi in sportlichen Dingen zu widersprechen wagt und dafür gesorgt hat, dass der SCB endlich wieder brauchbares ausländisches Personal verpflichtet hat. Erstmals seit 2019 lautet die Frage: Ist der SCB gar ein heimlicher Meisterkandidat?
Nach dem souveränen Qualifikations-Schlusspunkt gegen Servette (5:1) ist die Antwort mindestens: «Warum nicht?»
Der sensible Schillerfalter Dominik Kahun ist auf eigenen Wunsch und zur Genugtuung von Trainer Jussi Tapola am letzten Tag der Transferperiode samt dem bis 2027 laufenden Vertrag nach Lausanne geschickt worden. Mit diesem Transfer signalisiert Obersportchef Martin Plüss unmissverständlich, dass die Autorität des Trainers unantastbar ist und sorgt dafür, dass im Maschinenraum vor der entscheidenden Phase der Meisterschaft Ruhe einkehrt. Und zugleich hat er mit Miro Aaltonen einen spielerisch gleichwertigen Ersatz verpflichtet. Diese zügige Problemlösung und die Arroganz, mit der die Bedenken gegen die Diva Miro Aaltonen und dessen kurze Kokain-Sperre vom Tisch gewischt worden sind, zeigen, dass der SCB endlich wieder das Selbstverständnis eines Bayern München des Hockeys hat. Nicht «Mia san Mia». Aber «Mir sy öpper».
Weil kein Löschblatt zwischen Obersportchef Martin Plüss und Jussi Tapola passt, wagt inzwischen niemand mehr, die Autorität des Cheftrainers herauszufordern. Er sitzt in seiner zweiten SCB-Saison so fest im Sattel, wie das bei einem SCB-Trainer halt möglich ist.
Jussi Tapolas Nummer 1 Adam Reideborn ist seit dem Versagen in den letzten Playoffs gegen Zug den Schwefelgeruch eines Lottergoalies nie ganz losgeworden und war während der Qualifikation der schwächste ausländische Schlussmann der Liga. Aber nun hat der SCB bis zum Viertelfinalstart gegen Gottéron am 14. März fast zwei Wochen Pause. Genug Erholungszeit für den schwedischen Torhüter, der im letzten Frühjahr auch versagt hat, weil er während der Qualifikation zu stark forciert worden ist (40 Spiele/diese Saison 32). Inzwischen hat sich auch herausgestellt, dass die Verletzung von Austin Czarnik, die er sich beim Blockieren eines Pucks zugezogen hatte, nicht schwerwiegender Natur ist. Er musste nicht pausieren.
Trotz einiger Aufregung hat der SCB in der Qualifikation (3. Platz) die beste Klassierung seit der letzten Meisterfeier von 2019 und das Playoff-Heimrecht eingefahren. Der konsequente, biblische Führungsstil des finnischen Erfolgstrainers – «wer nicht mit mir ist, der ist wider mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreuet» – hält das Team in der Spur. Die Berner haben während der Qualifikation immer besser gelernt, in schwierigen Partien doch noch einen Weg zum Sieg zu finden. Sie können sich inzwischen erstmals seit 2019 in kritischen Phasen auf ein funktionierendes Spielsystem verlassen. Die Pause bis zum Playoff-Start gibt Jussi Tapola die Möglichkeit, dieses System noch einmal zu justieren. Er hat seit seinem Amtsantritt eine Entwicklung in Gang gesetzt, an deren Ende schon 2025 der nächste Titel stehen kann.
Die Unruhen um die Goalies und die Ausländer wirkten belebend und sorgten in der Kabine für die Unrast, die erforderlich ist, damit zwischen September und März keine Genügsamkeit einkehrt. Der Trainer hat die Spieler zudem immer wieder mal durch kleine Fegefeuer geschickt. Es ist die stimulierende Unruhe, die wir ja auch bei den Bayern in München (FC Hollywood) so sehr schätzen. Diese kontrollierte Unruhe und Unrast gehört zu allen erfolgreichen Sportunternehmen. Wer Harmonie auf allen Ebenen braucht, wird nicht Meister.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Was dem SCB in die Karten spielt: Es gibt keinen klaren Titelfavoriten. Alle Titanen wanken: Niemand weiss, ob Lausannes Torhüter Kevin Pasche der Playoff-Belastung gewachsen sein wird. Nicht einmal der Gewinn der Champions Hockey League macht Marco Bayer bei den ZSC Lions zu einem charismatischen Meistertrainer. Nur Lausanne und die ZSC Lions waren in der Qualifikation besser als der SCB.
Die meisterlichen Voraussetzungen sind bei einem SCB, der seine «bayrische Identität» wieder gefunden hat, gegeben. Die Frage ist daher nicht, ob die Berner Meister werden können. Viel eher, ob Jussi Tapola auch in der National League das meisterliche Glück hat, ohne das in Bern selbst ein grosser Trainer nicht zu triumphieren vermag. Er hat daheim in Finnland seit 2016 vier Meisterschaften und einmal die Champions Hockey League gewonnen. Er ist also ein Trainer, der bisher meisterliches Glück hatte und weiss, wie man Meister wird.
Noch nie seit dem Frühjahr 2019 war die Ausgangslage so gut. Und die Fallhöhe so hoch. Auch das gehört in Bern dazu.
Aber eben: Goalies/Verlängerungen und Play offs. Bern wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch nicht Meister.